15. März 2015

Fetischmädchen (Bericht von der Leipziger Buchmesse)

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Erkältet, zerknittert, sterbensmüde, so komme ich dieses Jahr von der Leipziger Buchmesse zurück – und wie war es toll! Ich durfte so viele interessante Menschen kennenlernen, sogar den einen oder anderen Testleser hier vom Blog. Nach über zehn Jahren Schriftstellerei erschrecke ich mich immer noch, wenn leibhaftige Leute vor mir stehen, meine Innenwelten gedruckt in der Hand, und sich als Bewohner derselben Träume offenbaren. Ich werde mich wohl nie daran gewöhnen. Vielleicht ist das auch gut so.

Die besonderen Momente der letzten Tage sind kaum zu vermitteln. Zum Beispiel, als mir die Bookwives nach einem gemütlichen Interview im schrankgroßen Hinterzimmer des dtv junior Standes die Beweglichkeit ihres mobilen Traummannes demonstrierten. Oder als ehemalige Analphabeten bei einer gemeinsamen Lesung ihre Geschichte erzählten. Oder als nach einer Lesung auf der Fantasy-Leseinsel “Nacht ohne Namen” tatsächlich auf dem gesamten Messegelände ausverkauft war. Oder als ich mit dem köstlichsten Besser-als-Cupcakes-Cupcake meines Lebens bezahlt wurde, nämlich vom Café Mintastique für meine letzte Lesung. Dort werde ich mich als Konditorin bewerben, wenn ich irgendwann nicht mehr vom Schreiben leben und nur noch kryptische Lyrik und Süßkram herstellen möchte.

Insgesamt hatte ich kaum mehr als eine halbe Stunde Pause, um die Messe zu erkunden. Mir war gar nicht danach, Bücher zu entdecken. Ich rieb mir die Nerven auf an der Trennung von Unterhaltung und Literatur, sah nur noch Ruhmsucht und Geldgier an sich künstlich abstoßenden Polen. Auf der Brücke zwischen zwei Hallen blieb ich stehen, um die Cosplay-Verkleideten zu beobachten. Menschen, die ihre Traumwelten in die Realität zerrten. Waren sie mutig oder einfach blind für die Unmöglichkeiten? So oder so, ich war ihnen als Voyeurin dankbar, dass sie so bereitwillig Einblicke in ihre Sehnsüchte gewährten.

Ich entdeckte ein Mädchen, das mir besonders gefiel. Sie war ganz schwarz gekleidet, der dralle Leib in der Mitte auf eine aufreizend unbequeme Weise verschnürt, die Nacktheit der Beine mit Strümpfen betont, das Gesicht, blass und weich, von rauchigen, dunkelroten Haaren verschleiert. Sie ging langsam und alleine, scheu auf der Suche, eine wiegende Frage auf hohen Absätzen. Ein Mann, der sie schon länger verfolgte, sprach sie an. Ich hörte ihr Gespräch nicht, ich stand ja oben auf der Brücke. Dennoch war klar, dass der Mann Fotograf war, er zeigte auf seine Kameratasche, fuchtelte nervös mit den Händen, legte den Kopf schief wie ein zwitschernder Vogel, bot ihr eine Visitenkarte an. Das Mädchen stand mit gesenktem Blick da, lächelte beschämt über den Regenguss seiner Komplimente. Schließlich nahm sie die Visitenkarte, der Mann entschlüpfte buckelnd in die Menge. Das Mädchen ging ebenfalls weiter, eiliger jetzt, und in die andere Richtung. Ich glaubte genau zu wissen, was in ihr vorging. Sie hatte sich sorgfältig herausgeputzt, und dafür hatte sie nun die Ehrerbietung bekommen. Das war doch ihre Absicht gewesen, oder? Vielleicht. Aber vielleicht fiel ihr erst jetzt auf, ihr Körper war Tauschware geworden. Ihr Erscheinungsbild, Projektionsfläche für ihre Vorstellung von Schön, war beklebt von Briefmarken großen Fantasien Wildfremder. Sie war Inventar geworden für die Träume anderer. Etwas an ihr selbst ging verloren in diesem Moment, das wusste ich. Daran erinnerte ich mich.

Das Mädchen verschwand unter der Brücke. Ich lief auf die andere Seite, doch sah sie nicht wieder auftauchen. Ich kehrte zurück. Und entdeckte sie: Sie war nur im Kreis gestakst und stellte sich nun an einem Crêpes-Stand an. Ich schmunzelte. Ein Crêpes, um die Nerven zu beruhigen, das war niedlich und machte Sinn. Das Essen würde dem Mädchen wieder die Kontrolle über ihren Leib versichern; er würde wieder ein geborgener Ort von Gaumenfreuden sein, ganz fetischfrei, ganz intim.

geschrieben von Jenny-Mai Nuyen - Veröffentlicht in Blog

Kommentare

9 thoughts on “Fetischmädchen (Bericht von der Leipziger Buchmesse)

  1. Wie schön sich das liest! *-*
    Übrigens habe ich pfefferst du mit diesem Post meinen schon monatelang andauernden Heißhunger auf Cupcakes. Haaa, es gibt nichts besseres als seine Zähne in die bunte Sahne zu vergraben und bis zum Kuchenboden zu drücken. Und wenn man aus seiner Versenkung erwacht, blickt man mit glänzenden Augen und einem wohlig schluckenden Magen sein Gegenüber an, der losprustet, weil man in seiner Verzauberung plötzlich ein Oberlippenbärtchen bekommen hat.

  2. Liebe Jenny,
    sehr schön geschrieben. Es ist so toll, wie du Menschen beobachten und das dann auch schreiben und erzählen kannst! :) Für diese Gabe bist du etwas zu beneiden. *zwinker*
    Es hat Shou und mich gefreut, dich interviewen zu dürfen. Wir müssen da noch ein paar Fragen nach schicken…

    Viele Grüße
    Sabrina

    1. Mich hat es ebenso gefreut, mit euch zu schnattern! Schickt gerne Fragen, ich werde mich bemühen, sie schnell und knapp zu beantworten. Übrigens war in eurem Geschenktütchen einer meiner neuen Lieblingstees, nämlich der “New York Chai” … *.*

    1. Hallo Kristin! Ich fand es auch sehr schön mit euch beiden, nur schade, dass es so voll war und die Zeit so knapp. Das Foto wurde ja wirklich in der richtigen Sekunde geschossen – gerade wo ich ein paar Schokoriegel in die Tasche geschmuggelt habe, ehm-hm… ^^

    1. Wenn das Mädchen sich hier wiedererkennen und sich melden würde, wäre ich total aus dem Häuschen. Ich würde natürlich wissen wollen, ob ich sie richtig beobachtet oder nur mich selbst in sie hineingelesen habe.

  3. hallo

    ich wollte dir nur sagen, dass dein Bericht von der Leipziger Buchmesse grandios ist. Ich liebe es, deine Bücher zu lesen und in fremde Welten einzutauchen. Deinen Schreibstil habe ich immer schon gemocht, seit mir vor einigen Jahren Nijura das Erbe der Elfenktone in die Hände gefallen ist habe ich fieberhaft immer wieder nach büchern von dir gesucht.
    Tut mir leid wenn ich jetzt ein wenig schleime aber du bist einfacheine lieblingsautorin ^^

    Ich wäre auch gerne zur Buchmesse gekommen aber die Hinfahrt wäre einfach zu lange und zu teuer gewesen :/

    Viele liebe Grüße und mach weiter so

    rita

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