9. April 2014

Anti-Schreibtipp-Tipps

Oft werde ich gefragt, ob ich Tipps zum Schreiben habe. Mein erster Impuls ist immer, „Nein!“ zu antworten. Warum? Nicht aus Unhöflichkeit. Auch nicht aus Faulheit. Na gut, ein bisschen aus Faulheit. Und ich möchte behaupten, auch Ahnungslosigkeit ist nicht der Grund. Die ruppige Antwort will ich daher erklären.

Als ich mit meiner ersten Geschichte anfing, wollte ich von Ratgebern überhaupt nichts wissen. Einerseits aus Stolz, andererseits aus Angst, all meine Fehler aufgezeigt zu bekommen. Dieses Selbstvertrauen aus Trotz ging mit viel Selbstkritik einher, sodass ich mir angewöhnte, jede fertiggestellte Geschichte als Generalprobe abzuwinken – die nächste würde das ganz große Werk werden. Ich probierte in den sieben „Romanen“, mit denen ich vor meiner ersten Veröffentlichung die Schublade fütterte, alles aus, was sich später als Fehler oder kluger Kniff entpuppen sollte, und erarbeitete mir über hunderte von Seiten ein Gespür dafür, wie ich meine Geschichten am besten webe.

Dann wurde „Nijura“, mein erster Roman, veröffentlicht. Und es kamen Reaktionen. Ich war jetzt nicht mehr allein am Schreiben, sondern die Verlage, die Leser guckten mir bei jedem Wort über die Schulter. Natürlich nicht buchstäblich – schließlich wart ihr mit eurem eigenen Leben beschäftigt –, aber ich fühlte mich so als ob. Schriftsteller sind oft empfindliche Eigenbrötler, wenn sie die Aufmerksamkeit zu nah an sich ranlassen, können sie in Schockstarre verfallen. Lauter Meinungen vermischten sich mit meiner, sodass ich nach ein paar Jahren überhaupt nicht mehr wusste, was ich eigentlich wollte – dafür hatte ich einen riesigen Strauß Wünsche und Bedürfnisse zusammengetragen, die andere an meine Bücher hatten oder auch nur in meiner Vorstellung haben könnten. Es war eine langsame, schleichende Schreibkrise. Und plötzlich kam mir die Eitelkeit, die mir sämtliche Tipps und Ratschläge von außerhalb verbot, wie eine Falle vor.

Um es gleich vorwegzunehmen: Ich hab trotzdem nie einen Schreibratgeber gelesen. Ich weiß nichts über plot lines, ab welcher Seite der Protagonist welche Motivation artikuliert haben muss, welche Kunstgriffe für die Hochliteratur absolut verboten sind oder was es sonst noch an guten und schlechten Regeln gibt. Ich möchte überhaupt nicht so technisch über Kunst nachdenken. Oft genug habe ich aus meiner Unwissenheit und Naivität die besten Ideen geschöpft. Und ihr merkt schon, das klingt jetzt doch irgendwie wie ein Tipp. Deshalb Schluss mit dem Herumdrucksen – wenn ich euch schon davon überzeugt habe, dass Richtlinien stören, wo es um Freiheit und Ausdruck geht, dann hört auf, das hier zu lesen. Geht und schreibt, ihr könnt es längst! Allen anderen werde ich jetzt verraten, an welchen Erkenntnissen ich mich aus der Schreibkrise herausgezogen habe. Zur Verteidigung meiner Inkonsequenz kann ich nur sagen, dass ihr davon nichts befolgen solltet, was euch nicht spontan einleuchtet und ihr wahrscheinlich ohnehin schon macht. Deshalb ist der erste Tipp:

  1. Halte dich nicht an Regeln. Wiederholungen sind schlechter Stil? Jede Figur muss eine Wandlung durchlaufen? Man muss sich für eine Perspektive entscheiden? Pfeif drauf. Wirklich. Außer natürlich auf deine eigenen Regeln. Diese, handverlesen und wohl durchdacht, erfordern deine absolute Treue, nur dann können dir auch andere auf den unkonventionellen Pfaden folgen, die du einschlägst.
  2. Schreib, was dir Spaß macht. Klingt ganz leicht, oder? Aber dieses Gebot ist wirklich am schwierigsten einzuhalten, jedenfalls für mich. Denn ich verwechsle oft das, was mir Spaß macht, mit dem, was mich stolz machen oder bestimmte Leute beeindrucken könnte. Schrecklich, aber ich muss es offen gestehen. Um zu schreiben, was wirklich von Herzen kommt, gehört eine ordentliche Portion Selbstvertrauen. Es gibt Zeiten, in denen mir das fehlt. Dann hilft eigentlich nur: Darüber schreiben, wie es einem fehlt. So findet man heimlich in sein eigenes Herz zurück.
  3. Wisse, für wen du schreibst. Diesen Tipp habe ich oft unfreiwillig gehört, meistens von ausgefuchsten Leuten, die Zielgruppen und Verkaufszahlen im Blick haben. Mich persönlich hat es immer gehemmt, mir eine ‚Masse‘ vorzustellen, die statistisch so und so viel liest und dies und das von einem Buch erwartet. Gibt es diese Masse wirklich? Ich habe immer nur Leser kennengelernt, die dieselbe Sehnsucht nach Schönheit und Wahrheit hatten wie ich, wenn ich ein Buch in die Hand nehme oder an anderen Quellen der Kunst Erfrischung suche. Zu wissen, für wen man schreibt, bedeutet gleichzeitig, die Frage zu verwerfen. Denn man schreibt so oder so für Menschen. Oder „Bewusstseinsformen“, wenn einem Aliens oder Gott das liebenswertere Publikum sind. Jedenfalls schreibt man für jemanden, der dasselbe denken und empfinden soll wie man selbst (und vielleicht sogar man selbst ist).
  4. Hab keine Angst vor Fehlern. Lass dich inspirieren, aber nie einschüchtern. Alle Menschen straucheln durch das Dickicht der Zeit, ein großer Haufen verwirrter, faszinierender Tierchen. Was dir in einem Moment richtig erschien, ist dir im nächsten vielleicht schon peinlich, aber es gab immerhin diesen einen Moment, in dem du dich dazu entschieden hast – und bestimmt nicht ohne Grund. Deine vergangenen Ichs verdienen einen Platz in der Realität, also widerstehe dem Drang, sie zu vernichten.
  5. Pflege deine Tagträume. Und zwar hemmungslos. Erschreckende Fantasien, böse Gedanken, der ultimative Kitsch – wenn es in dir steckt, hat es seine Daseinsberechtigung. Alles darf geschrieben werden.

Das sind meine persönlichen Regeln. Sie klingen mehr nach Selbstakzeptanz als nach Schreibhandwerk, weil ich eben dort meine Schwächen sehe. Aber vielleicht ist das ja alles Humbug, immerhin bleibe ich nicht von Blockaden verschont. Wenn ihr Ratschläge habt, die euch (und euren Lesern) das Erlebnis versüßen oder die ihr mir nach der Lektüre meiner Bücher schon immer mal empfehlen wolltet, dann schreibt sie mir doch als Kommentar. Ich bin sehr neugierig, wie ihr das mit eurer Literatur macht. Im Grunde stricken wir ja alle an demselben Hütchen für die Menschheit!

uhrzimmer

geschrieben von Jenny-Mai Nuyen - Veröffentlicht in Blog

Kommentare

3 thoughts on “Anti-Schreibtipp-Tipps

  1. Gott, als ich das Wort “SCHREIBTIPPS” gelesen habe bin ich total erschrocken. Ich schreibe nähmlich selber und dachte “Was? Es gibt Regeln?! Mist was habe ich alles falsch gemacht…?” Zuerst wollte ich diesen Eintrag gar nicht lesen weil ich dachte dass ich sonst nie wieder schreiben will und dass es eigentlich keine Regeln beim Schreiben gibt außer seiner Kreativität freien Lauf zu lassen, usw. Doch meine Neugier ist meine Schwäche also habe ich mir das hier trotzdem mal durchgelesen. Ich war soo erleichtert keine “richtigen” Regeln zu lesen! :’)
    Ich finde toll was du hier schreibst und ich gebe die absolut Recht. Wie schon gesagt sollte man seiner Kreativität freien Lauf lassen und sich nicht von den Sätzen wie “das ist nicht möglich” oder “das gibt es nicht” beeinflussen zu lassen. Was ich am Fantasy-schreiben toll finde, ist dass man schreiben und erfinden kann was man will. Wenn man z.B. ein neues Reich, eine neue, magische Welt erfindet kann dir keiner sagen kann, dass es auf der Welt mehr Einwohner gibt, dass es hier solche Bäume nicht gibt und nie geben wird, was weiß ich…!

    Ich kann Lolalilu nur zustimmen! (sehr schöner Text mit sehr schönen Vergleichen übrigens :) )

  2. Man sollte Schreibtipps nicht als Regeln begreifen, sondern als Prinzipien oder Gesetzmäßigkeiten. Die einzige Regel, die es gibt, ist: Lern the rules so you know how to break them properly. Beispielsweise Show, don’t tell. Das ist sinnvoll, aber manchmal eben auch nicht. Deshalb sollte man die Regel kennen, man sollte wissen, was ich wann auslöse, indem ich sie anwende, damit ich weiß, wann ich sie anwenden sollte und wann nicht, dann weiß ich, wann ich besser Dinge zeige oder beschreibe, weil ich den und den Effekt haben will.
    Meiner Meinung nach geht es bei Schreibtipps nicht darum, zu wissen, wie man zu schreiben hat, so sollte man sie weder formulieren noch lesen. Es geht eher darum, zu verstehen, mit was ich welchen Effekt beim Leser auslöse, es geht darum, zu verstehen, welche Chemikalien wie miteinander reagieren, damit ich weiß, welche ich zusammen kippen muss, um den gewünschten Effekt zu bekommen. Wenn ich nur die Tipps befolge, bekomme ich oft immer nur heraus, was es schon einmal gab, wenn ich die Regeln ignoriere, kommt es vielleicht zur einen oder anderen Explosion, aber wenn ich weiß, wie was miteinander reagiert, kann ich Explosionen vermeiden und bin trotzdem vollkommen frei darin, zu erreichen, was ich erreichen will. Dann weiß ich, wann ich Wiederholungen einsetzen sollte und wann nicht, weil ich weiß, was Wiederholungen in welchem Zusammenhang mit meinem Text tun.

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